Sehr geehrter Fragesteller,
Sie haben das computer-technisch schon alles richtig gemacht und es tut mir leid, dass Sie etwas laenger auf Ihre Antwort warten mussten. Ich hoffe, dass ich nicht zu spaet bin.
Ich moechte erst einmal sicher stellen, dass ich Ihre Frage richtig verstehe. Sie haben nach unserem letzten "Gespraech" versucht, Ihre Frau dazu zu bewegen, mit Ihnen eine Therapie zu machen, um Ihre Beziehung zu "reparieren", aber leider ist sie nur einmal mit Ihnen zur Eheberatung gegangen und hat sich nicht wirklich darauf eingelassen, mit Hilfe eines neutralen Beraters einen gemeinsamen Neuanfang fuer Sie zu finden.
Ich hatte ja schon im Dezember angedeutet, dass dieser Neuanfang nur funktionieren kann, wenn beide Partner wirklich bereit sind, der Beziehung eine weitere Chance zu geben. Indem sich Ihre Frau nicht darauf eingelassen hat, hat sie Ihnen da ja eine recht klare Ansage gemacht: "Die Beziehung ist mir nicht wirklich genug wert, um mit einem Fachmann darueber zu reden und gemeinsam eine Loesung zu finden."
Seitdem leben Sie zwar weiterhin zusammen, aber Ihre Frau trifft sich regelmaessig mit Ihrem Freund und versucht anscheinend auch nicht wirklich, Ihre Ehe zu 'reparieren.' Ausserdem fuehlen Sie sich irgendwie "reingelegt" oder zumindest ausgenutzt, da Ihre Frau ja gerade am Ende des Trennungsjahres wieder in Ihre Wohnung eingezogen, weil sie Ihnen die Geschichte erzaehlt hat, dass Markus sie rausgeschmissen hat. Sie denken jetzt, dass das nicht wirklich stimmte sondern eher ein Weg war, damit Ihre Frau die "Versorgung", die Sie ihr ja immer noch bieten, nicht verliert.
Wenn ich das richtig verstehe, dann koennte ich mir vorstellen, dass Sie wuetend und auch traurig sind. Darum moechten Sie jetzt wissen, was Sie tun koennen, um sich tatsaechlich von Ihrer Frau zu trennen.
Meine Empfehlung waere, dass Sie erst mit einem Rechtsanwalt sprechen, denn vermutlich koennen Sie Ihre Frau solange Sie verheiratet sind, von Rechtswegen her nicht einfach aussperren. Allerdings kann ein Rechtsanwalt soweit ich das weiss beim Gericht ein entsprechendes Dokument anfordern, das Ihnen dann das Recht gibt, die Schloesser zu wechseln. Auf rechtlicher Ebene sollten Sie dann ebenfalls alle noetigen Papiere fuer eine Scheidung einreichen.
Wenn Ihre Frau in einem vernuenftigen Gespraech einwilligt, dass sie auszieht und dass Sie sich scheiden lassen, dann waere das einfacher. Wenn sie dann Ihre Sachen gepackt hat und ausgezogen ist, koennen Sie soweit ich das rechtlich verstehe, die Schloesser austauschen - und sollten das auch tun.
Sie koennen wahrscheinlich besser einschaetzen, wie Ihre Frau auf ein solches Gespraech reagieren wuerde und sollten dementsprechend entscheiden, ob Sie erst mit ihr oder erst mit einem Anwalt sprechen.
Auf der emotionalen Ebene wird das ganze ja wahrscheinlich auch nicht ganz einfach werden, denn Sie hatten sich ja schon einmal getrennt und Sie waren bereit, Ihrer Frau zu vergeben und es noch einmal zu versuchen. Wenn man etwas verliert oder aufgibt, dann durchlaeuft man in der Regel den sogenannten "Trauerprozess". Je mehr man darueber weiss, desto besser kann man sich selbst verstehen und sich dementsprechend verhalten. Die typischen Phasen sind die folgenden:
1. Phase: bezeichnend ist hier der Schockzustand. Man will nicht wahrhaben, dass der Verlust tatsaechlich stattgefunden hat. Der Verlust wird nicht als Realität akzeptiert. Die typischen Symptome dieser Phase (die in der Regel von einigen Stunden bis zu 4 Wochen dauert): Betäubung, Empfindungslosigkeit, Starre, Unglauben, Unwirklichkeit, ploetzliche Traenenausbrueche, Depersonalisierung (“nicht wie man selbst fuehlen” oder “neben sich stehen”). Bei Ihnen erwarte ich da, dass Sie sich immer wieder fragen, ob Sie die richtige Entscheidung getroffen haben und ob es nicht doch noch einen gemeinsamen Weg geben koennte.
2. Phase: das Aufbrechen der Gefühle, wobei der Schmerz des Verlustes in all seiner Tiefer erfahren wird. Man erlebt oft ein Gefuehlschaos von Trauer, Angst, Wut, Schuld, unbegruendeter Heiterkeit und Hilflosigkeit. Koerperliche Symptome sind oft Ruhelosigkeit, Appetitverlust und Schlafstörungen. Am hilfreichsten ist es, sich die Erlaubnis zu geben, all diese Gefühle zuzulassen, und zu wissen, dass das emotionale Chaos “normal” ist. Problematisch wäre hier eher eine andauernde Gefühlslosigkeit und Unterdrückung der Gefühle durch Verleugnung, Überaktivität, Missbrauch von suchtfoerdernden Substanzen oder Gleichgueltigkeit. In dieser Phase ist man sehr "verletzlich" und meine Vermutung ist, dass Sie sich in dieser Phase davor schuetzen muessen, damit Ihre Frau Sie nicht an einem Tag, an dem Sie sich besonders einsam fuehlen, wieder "ausnutzt" und Sie sie zuruecknehmen.
3. Phase : Akzeptieren einer Umwelt, in der die Person fehlt - und gleichzeitig glauben, dass das Leben ohne diese Person trotzdem gut und schoen sein kann. Man faengt an die Person loszulassen und das Ausmass des Verlustes anzuerkennen ohne in tiefe Depressionen zu fallen. Man faengt an, neue Ziele zu haben und sich eine Zukunft ohne die Person vorzustellen. Problematisch wird es in dieser Phase, wenn es zu Suchtverhalten kommt, einem Rückzug aus der Welt, der Verweigerung des Abschieds, und dem Beharren in der eigenen Hilflosigkeit. Oft hat man das Gefuehl, dass diese Phase nie kommen wird, wenn man inmitten der Gefuehle steckt, aber ich kann Ihnen versichern, dass diese Phase kommt.
4. Phase: Man faengt wieder an aktiv zu leben. Man empfindet wieder Freude und ist bereit, in neue Beziehungen zu investieren. Man akzeptiert den Verlust als Teil des Lebens und schaut mit neuem Selbstvertrauen und Hoffnung in die Zukunft. Rueckfaelle in das Emotionschaos der zweiten Phase, v.a. an Jahrestagen sind durchaus normal, werden aber problematisch wenn ein Rueckfall zu Ängsten vor neuen Verlusten fuehrt oder zu einer allgemeinen Abwendung vom Leben, den Lebenden und der Liebe. Meine Vermutung ist, dass Sie letzten Herbst am Jahrestag der Trennung ganz besonders traurig waren und darum eingewilligt hatten, Ihre Frau wieder bei sich einziehen zu lassen. Es ist oft wichtig, dass man da vorbeugt und z.B. einen wichtigen Jahrestag nicht alleine oder nicht zu Hause verbringt.
Ich hoffe, dass ich Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen konnte. Wenn Sie Fragen zu bestimmten Details haben, dann stellen Sie diese gerne im Anschluss.
Mit freundlichem Gruß,
Annegret Noble
Meine Ausführungen und Meinungen ersetzen keine psychologische Diagnostik oder Therapie. Sie beinhalten nur Hilfestellungen, Vorschläge und Lösungsansätze.
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